Projektvorgehen Einführung Zeitwirtschaft / Zeiterfassung

Mein generisches und praxiserprobtes Projektvorgehen für die Einführung einer Zeitwirtschaft / Zeiterfassung bei Unternehmen. Umfasst die üblichen Projektphasen und wichtigsten Deliverables auf einen Blick.

Neben der rechtlichen Verpflichtung von Arbeitgebern, ein System zur Erfassung der geleisteten Arbeitszeiten der Arbeitnehmenden einzurichten, bietet die Einführung einer modernen Zeiterfassungs-Software auch für sich gesehen einige potentielle Vorteile für Unternehmen, wie z.B.: 

  • Aufbau einer modernen und zukunftsfähigen Zeitwirtschaft (z.B. Ablösung einer manuellen, fehleranfälligen und aufwendigen MS Excel-basierten Zeiterfassung).
  • Einführung einer mobilen und Mitarbeiter-freundlichen Lösung, beispielweise unter Verwendung einer Zeiterfassung-App, die auch von MitarbeiterInnen im Außendienst genutzt werden kann.
  • Digitalisierung / Automatisierung der Zeiterfassung und dadurch bessere technische Integration, z.B. Anbindung zu anderen Systemen, wie einer vorgeschalteten Schichtplanung oder einer nachgelagerten Gehaltsabrechnung.
  • Standardisierte und strukturierte Erfassung von arbeitszeitrelevanten Tatbeständen, wie Ist-Zeiten, Pausen, Urlaub, Krankheit, Weiterbildung, Reisezeiten, Mutterschutz, Rufbereitschaft, Sonderurlaub, Pflegezeiten, Erkrankung Kind, usw.
  • Einheitliche Anwendung von Regeln auf die erfassten Zeiten (systematisch und automatisch), z.B. Regeln für die Berechnung von Zuschlägen und Mehrarbeit, die sich aus bestehenden Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen ergeben (z.B. für Überstunden an Wochenenden oder Feiertagen).
  • Transparenz für Führungskräfte und Betriebsrat (Überblick der Zeiten von Arbeitnehmenden).
  • Abbildung von systemgestützten Antrags- und Genehmigungsprozessen für MitarbeiterInnen und Führungskräfte mittels individuell konfigurierbarer Workflows, z.B. für die Beantragung und Genehmigung von Urlaub oder anderer Abwesenheitszeiten.
  • Wahrung der Rechte von Arbeitnehmenden, z.B. indem geleistete Überstunden und Mehrarbeit erfasst und transparent gemacht werden und damit nicht unter den Tisch fallen.
  • Standardisiertes Reporting / Erstellung von Auswertungen für bestimmte Bereiche und Themengebiete.
  • Verbesserte Sicherheit und Datenschutz durch zentralisierte Lösung (im Vergleich zu einer dezentralen/Papier-basierten/nicht integrierten Lösung).
  • Vereinfachte Administration und Support durch standardisierte Lösung.
  • Robustere und konsistentere Datenhaltung durch integriertes Datenbank-Management-System.
  • Robusteres und zuverlässigeres Verfahren durch Systemunterstützung, im Vergleich zu möglichen manuellen Verfahren.
  • Effizienzsteigerung für das Unternehmen.
  • Bessere Skalierbarkeit der Zeitwirtschaft, z.B. falls künftig mehrere MitarbeiterInnen zum Verfahren dazu kommen (beispielweise durch eine Integration weiterer Geschäftsbereiche).


Die oben illustrierte Abbildung zeigt ein bewährtes Projektvorgehen für die Einführung einer Zeiterfassungs-Software in Unternehmen. Es besteht aus den folgenden Projektphasen: 

Phase 1: Anforderungsanalyse / Ist-Analyse

In dieser ersten Projektphase erfolgt eine Bestandsaufnahme der Ist-Situation im Anwendungsbereich der Zeitwirtschaft. Es werden die aktuellen Prozesse analysiert und in strukturierter Form beschrieben. Dies kann sowohl grafisch erfolgen, als auch textuell, z.B. unter Verwendung von Vorlagen für die Beschreibung von Anwendungsfällen. 

Die textuelle Spezifikation eines Anwendungsfalls kann unter Verwendung der folgenden Standard-Elemente erfolgen: Name des Anwendungsfalls; Kurzbeschreibung; Auslösendes Ereignis; Beziehung zu anderen Anwendungsfällen; Akteure; Vorbedingungen; Ergebnis/Nachbedingungen; Verwendete Anwendungen; Verwendete Formulare/ Dateien/ Daten; Verwendete Schnittstellen; Haupt-Ablaufszenario; Alternativszenarien; Ausnahmeszenarien. 

Methodisch erfolgt die Prozessbeschreibung und Anwendungsfall-Spezifikation in erster Linie in Form von Interviews mit den HR-Fachexperten, in der Regel aus dem Fachbereich der Lohn- oder Gehaltsabrechnung. 

Neben der Prozess-basierten Analyse und Bestandsaufnahme erfolgt auch eine technischere Analyse der IT-Anwendungslandschaft rund um den Bereich der Zeitwirtschaft/Zeiterfassung. Dies umfasst in der Regel auch Anwendungen für eine Schicht-/Dienst-Planung, Anwendungen für die Lohn-/Gehalts-Abrechnung, Anwendungen für Mitarbeiter-Stammdaten, oder sonstige relevante Software für das Management von Abwesenheiten, wie z.B. Urlaub oder Reisezeiten. 

Als Methoden für die Aufnahme dieser Informationen kommen hier die Analyse von vorhandenen Dokumentationen in Frage, vor allem aber Interviews mit Systemverantwortlichen und technischen Ansprechpartnern im Unternehmen. Als Ergebnisdokumente dieser Analyse werden üblicherweise erstellt: Übersichts-Diagramm Ist-Anwendungslandschaft Zeitwirtschaft; Steckbriefe der relevanten Anwendungen; Schnittstellen-Spezifikationen für die relevanten Schnittstellen aus der Analyse. 

Weitere Analyse-Themen und Ergebnis-Dokumente aus dieser Phase können sein: Spezifikation der relevanten Akteure (Benutzergruppen) aus der Ist-Situation; Berechtigungskonzept Ist-Situation; Mengengerüst Ist-Situation & Prognose für die Zukunft; Glossar mit fachlichen Definition und Abkürzungen aus dem Anwendungsbereich der Zeitwirtschaft und Gehaltsabrechnung.

Einige Beispiele für Deliverables aus dieser Projektphase (für jeden Anwendungsfall wird eine Detailbeschreibung erstellt): 


Phase 2: Anforderungsspezifikation / Soll-Konzeption / Soll-Definition

In dieser zweiten Projektphase wird aufbauend auf den Erkenntnissen, die in der vorangehenden Ist-Analyse gewonnen wurden, die Soll-Situation im Detail definiert. Dies umfasst vor allem die Spezifikation, wie die künftigen Prozesse unter Verwendung der neuen Zeiterfassung-Software aussehen sollen und wie die künftige Systemlandschaft aussehen soll. 

In enger Zusammenarbeit mit den Fachexperten des Kunden werden in einer Reihe von Workshops und unter Verwendung von vorgefertigten Beschreibungs-Strukturen die Soll-Prozesse festgelegt und die künftigen Anforderungen im Detail spezifiziert. Die wichtigsten Ergebnisdokumente aus diesen Aktivitäten sind eine (zumindest grobe) Konzeption der Soll-Prozesse, sowie eine detaillierte Spezifikation aller künftigen Anforderungen, gegliedert nach relevanten Kategorien. 

Dies kann grafisch durch die Erstellung von übersichtlichen Anwendungsfall-Diagramme für die Soll-Situation begleitet werden. Außerdem erfolgt in dieser Phase die Spezifikation der Zeitarten, die mit der neuen Zeiterfassungs-Software erfasst und verarbeitet werden sollen, sowie eine Spezifikation aller relevanten Regeln für die Verwendung der Zeitarten (z.B. Kompatibilitätsregeln für die gleichzeitige Verwendung von Zeitarten, wie krank und Urlaub) und aller sonstigen Regeln (z.B. für die Berechnung von Zuschlägen und Pauschalen). 

Technisch erfolgt ein Entwurf der Ziel-Systemlandschaft unter Anbindung der neuen Zeiterfassungs-Software, inklusive Spezifikation aller künftigen Schnittstellen. Es können auch weitere Architektur-Entwürfe erstellt werden (z.B. Übersicht der spezifizierten Komponenten des neuen Systems). 

Weitere Ergebnisdokumente und Spezifikations-Artefakte aus dieser Phase können sein: Spezifikation Akteure (Benutzergruppen) der Soll-Situation; Liste offener Punkte; Workshop-Dokumentationen, aus denen die Anforderungsspezifikation und die Soll-Prozesse abgeleitet wurden. 

Alle Spezifikationsdokumente aus dieser Projektphase werden gebündelt als ein Lastenheft bereitgestellt, das im weiteren Projektverlauf (Phase 4) im Rahmen des RFP (Request for Proposal) an die selektieren Anbieter gesendet werden soll.

Einige anonymisierte Beispiele für Deliverables aus dieser Projektphase: 


Phase 3: Grobe Marktevaluierung

Nach Abschluss der Ist-Analyse (Phase 1) und der Soll-Definition (Phase 2) erfolgt in Projektphase 3 eine Marktevaluierung von Zeiterfassungs-Systemen auf Basis der zuvor definierten Anforderungen, um mögliche passende Produktkandidaten (Systeme) für die Umsetzung des neuen Zeiterfassungssystems zu identifizieren. 

Die Liste der identifizierten und qualifizierten Produktkandidaten bildet die Grundlage für die nachfolgenden Projektphasen, insbesondere für die unmittelbar danach folgende Detailevaluierung und Produktauswahl, inklusive des Ausschreibungsverfahrens (Projektphase 4). Der finale Bericht zur Marktevaluierung soll außerdem das Management des Kunden sowie weitere betroffene Projekt-Stakeholder informieren.

Die möglichen Produktkandidaten für das neue Zeiterfassungssysteme werden über die folgenden Quellen verwendet: 

  1. Eigene Wissensdatenbank aus vorherigen Projekten im Anwendungsbereich der Zeitwirtschaft.
  2. Internet-Recherche, inklusive Verwendung mehrerer Vergleichsportale für Zeiterfassungs-Systeme.
  3. Teilnehmer von Personalmessen (Firmen), die Zeiterfassungs-Software anbieten.

Für die Bewertung der Produkte werden je nach Verfügbarkeit die folgenden Quellen verwendet: 

  • Webseiten der Produkte, insbesondere die Beschreibungen zu den Produkten und deren Funktionen, Masken-Schnappschüsse, Demo-Videos, Informationen zu den Hersteller-Firmen.
  • Informationen zu den Produkten auf den Vergleichsportalen.
  • Vorhandene Dokumentationen zu den Produkten, z.B. Broschüren, Leistungsbeschreibungen, Flyer, Produktdatenblätter, Anwenderhandbücher, Produktinformationen, Solution Guides, Firmen- & Produktpräsentationen, APIs.
  • YouTube-Videos mit Demos zu den Produkten.
  • Direkter Chat mit Anbieter-Support auf deren Webseiten, um konkrete Fragen zu den Produkten zu stellen (Interaktion mit Menschen oder Chatbots).

Hinsichtlich der Methodik für die Marktevaluierung ist anzumerken, dass die möglichen Produktkandidaten in dieser Projektphase auf einer eher groben Ebene gegen die spezifizierten Anforderungen bewertet werden, z.B. auf Komponenten-Ebene oder nach grundsätzlichen Fragen und KO-Kriterien.

Einige konkrete Beispiele für betrachtete Fragestellungen können sein: 

  • Ist die Software deutschsprachig? Ist die Software DSGVO-Konform (Anbieter aus EU)? Ist die Software kommerziell oder Open Source? 
  • Wie genau funktioniert die Zeiterfassung? Gibt es physische Terminals? Gibt es neben einer digitalen Stempelung in Echtzeit auch die Möglichkeit einer regulären nachträglichen Zeiterfassung, ohne dass dies ein Fehlerszenario ist (z.B. weil Stempelung vergessen)? 
  • Passt der Zweck des Systems zu den Anforderungen (in der Regel allgemeine Arbeitszeiterfassung) oder nicht (z.B. Projektzeiterfassung, allgemeine HCM-Lösung, Hauptfokus Schichtplanung, Protokollierung von Nutzeraktivitäten, ERP, CRM, Agentursoftware, spezieller Branchenfokus, wie z.B. Handwerk)? 
  • Fehlen möglicherweise Kernfunktionen / Komponenten, die unbedingt benötigt werden (z.B. Workflow Management)? 
  • Gibt es überflüssige Module/Funktionen, die nicht deaktiviert werden können (z.B. eAU, digitale Personalakte, Projektmanagement-Funktionen)? 
  • Gibt es ein Urlaubsmanagement und allgemeiner ein Abwesenheitsmanagement? Können Dokumente hochgeladen werden? 
  • Konfigurierbarkeit des Systems, z.B. Definition neuer Zeitarten, Definition neuer Zeitkonto-Typen, Definition Arbeitszeitmodelle. 
  • Konfigurierbarkeit/Erweiterbarkeit mittels digitalem Antragswesen zur Definition beliebiger neuer Antragstypen (z.B. BR-Anhörung) und einem konfigurierbarem Workflow Management zur Definition beliebiger (auch mehrstufiger) Genehmigungs-Workflows mit Benachrichtigungswesen. 
  • Gibt es eine leistungsfähige Rule Engine / ein konfigurierbare Regelwerk, um Regeln flexibel abbilden zu können (z.B. für die Berechnung von individuellen Zuschlägen, für Plausibilitätsprüfungen von Eingaben, für Kompatibilitätsprüfungen zwischen Zeitarten)? 
  • Können benutzerdefinierte Reports erstellt werden? Gibt es Standard-Reports? Gibt es eine Archivierung von Objekten (z.B. Anträge)? 
  • Konzept für Zeitkorrekturen: Gibt es die Möglichkeit von Zeitkorrekturen und eine Rückrechnungsfähigkeit des Systems? 
  • Welche Schnittstellen werden unterstützt? Gibt es eine Anbindung an die Lohnabrechnung? Wie ist die Architektur (offen/erweiterbar)? 
  • Wie ist das Erscheinungsbild der Software im Allgemeinen (z.B. modern oder antiquiert)? Benutzerfreundlicher Eindruck? 
  • Was gibt es für Kalender und Sichten (z.B. kalendarische Übersicht, Team-Kalender)? Wie ist der Admin-Bereich? Gibt es ein MA-Portal (ESS)? 
  • Gibt es neben der Nutzung über PC/Laptop auch eine dedizierte Zeiterfassungs-App? Welche Zugriffe werden insgesamt angeboten? 
  • Welche Hosting-Varianten werden angeboten (Cloud-basiert und/oder On premise – Installation)? 
  • Welchen Eindruck macht die Firma (z.B. zu klein)? Gibt es ordentliche Referenzen?

Nach Durchführung der Marktevaluierung wird ein passender Bewertungsansatz für die gesichteten Produkte verwendet. Beispielsweise kann ein 5-stufiges Ampel-Schema mit den folgenden Bewertungs-Stufen verwendet werden:

Die evaluierten Produkte werden unter Verwendung der obigen Methodik und des beschriebenen Bewertungsansatzes einer der 5 Bewertungs-Stufen zugeordnet. Der grafische Überblick mit allen bewerteten Produkten kann dann beispielsweise wie folgt aussehen (anonymisiert):

Diese Übersicht wird durch einen finalen schriftlichen Bericht mit allen wichtigen Erkenntnissen der Marktevaluierung für jedes Produkt begleitet, sowie durch eine Empfehlung, wie im Projekt weiter vorgegangen werden soll. Die Empfehlung kann z.B. so aussehen, dass nur diejenigen Produkte im Auswahlverfahren bleiben sollen, die eine „grüne“ oder „grün-gelbe“ Bewertung erhalten haben.

Zum Abschluss von Phase 3 wird eine Liste von Vorauswahl-Kriterien vorbereitet, die in der nachfolgenden Phase 4 im Rahmen des RFI (Request for Information) durch die aus der Marktevaluierung qualifizierten Anbieter beantwortet werden sollen. Der RFI dient somit dem Zweck, weitere Informationen direkt von den übrig gebliebenen Produktkandidaten (bzw. von den Firmen) anzufordern. Die Vorauswahl-Kriterien werden in der Regel als RFI-Fragenbogen aufbereitet und können z.B. wie folgt aussehen (gegliedert nach Kriterien zum Anbieter und Kriterien zur Software):


Phase 4: Detailevaluierung & Produktauswahl, inklusive Ausschreibungs-Prozess

...


Phase 5: Vertragsverhandlungen & Vorbereitung der Implementierung

...


Phase 6: Implementierung und Tests neue Zeiterfassung

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Phase 7: Training, Migration & Go-Live

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Phase 8: Post-Go-Live-Support und Evaluation der Einführung

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Publikations-Datum: 05.11.2024

Autor: Paraschos Pentas